2019, 2021 und jetzt 2024 – in diesen Herbst haben wir unsere Pilottour an Kretas Küste fortgesetzt. Mit dem Ziel im Kopf, das wir uns beim ersten Mal bereits gesteckt haben: Die Insel irgendwann komplett umrundet zu haben. Wie bereits 2021 sind wir auch 2024 wieder dort gestartet, wo wir bei der letzen Tour geendet haben. Diesmal ging es also im Südosten los, bei Ierapetra.
Kreta ist eine wirklich große Insel. Deshalb sind wir auch noch lange nicht rum. Sie ist die größte Insel Griechenlands und die fünftgrößte im Mittelmeer – nach Sizilien, Korsika, Zypern und Sardinien. Außerdem hat man es rund um Kreta häufig mit ordentlich Wind und Welle zu tun. Zumindest ab Herbst. Von Oktober bis Mai stehen die Chancen auf wildes Wetter gut. Dafür spielen uns um diese Jahreszeit andere Dinge in die Karten. Im Oktober ist es nicht mehr so voll, der Tourismus schläft langsam ein und die Strände leeren sich. Trotzdem sind die meisten Lokale noch auf. Das Wetter ist in der Regel sonnig, es ist aber nicht mehr so heiß wie im Sommer – perfekt!
Nachdem wir 2019 im Nordwesten gestartet sind, in Kissamos, und bis nach Plakias gekommen sind (lese hier den Bericht dazu), sind wir 2021 in Plakias gestartet und bis nach Ierapetra gepaddelt (lese hier den Bericht dazu). Beim diesjährigen Ritt sind wir kurz hinter Ierapetra gestartet, das Ziel der Reise war Agios Nikolaos an der Nordküste. Aber so weit sollte es diesmal eventuell gar nicht kommen… sei gespannt.
Start in Koutsounari
21.10.2024 – Koutsounari, Windstille – kaum zu glauben. Die Sonne brennt und es ist warm, selbst im Schatten zeigt das Thermometer noch über 23 Grad. Eigentlich perfektes Paddelwetter. Wäre da nicht dieser Wetterbericht. Der sagt nämlich Sturm voraus. Und zwar bis ans Ende der Prognose. Mal acht Beaufort, mal nur fünf. Aber da ist immer ordentlich Bewegung in der Luft. Zum Glück ist starker Wind für die Campingplatzbesitzer, die “Camping Koutsounari” liebevoll führen, wohl nichts Unbekanntes. Denn die Zeltplätze sind hergerichtet wie “Hasenställe”, meint, winddicht umfasst. Und das ist auch gut so. Denn bereits in der Nacht kachelt es ordentlich, der Olivenbaum, unter dem wir das Zelt aufgeschlagen haben, zittert und wankt gewaltig. Doch auch er scheint den Wind gewohnt. Und die Einfassung um unsere Parzelle hält den kräftigen Böen stand – und somit auch unser Zelt.
Leicht gerädert krabbeln wir am Morgen aus dem Schlafsack, der erste Blick gilt dem Meer. Und dafür, dass es so windig ist, ist es kaum bewegt. Denn der Wind ist ablandig, kommt von Norden, bläst über uns hinweg und aufs offene Meer hinaus. Sein Ziel: Lybien, auf der anderen Seite des Meeres. Die ersten Meter vom Strand weg sehen also gut aus. Das Meer befindet sich hier im Windschatten der hohen Berge. Das mit dem Paddeln könnte, trotz aller Prognosen und Befürchtungen, heute doch noch klappen.
Der Windschatten auf der ersten Etappe ist erstaunlich. Nur an wenigen ausgesetzten Kaps wird es so windig, dass man sein Paddel gut festhalten muss. Trotzdem kommen wir gut voran. Denn der Seitenwind macht uns wenig aus. So schaffen wir an Tag eins satte 27 Kilometer. Die Landschaft ist wunderschön – die Buchten, die senkrechten Felswände, die Höhlen und das glasklare Wasser. Ohne Stress und nach einer wunderbaren Mittagspause in einer tollen kleinen Taverne laufen wir am Abend in eine einsame Bucht kurz vor Asprolithos ein.
Fliegende Zelte
Am Strand treffen wir eine sonnengebräunte Familie, die den Tag in “unserer” Bucht verbracht hat. Laut ihnen war hier alles windstill. Doch in dem Moment, in dem Michael sein Zelt aufbauen will, kommen die ersten Böen. Eine besonders starke erwischt direkt mal sein Ultralight-Zelt. Dieses beweist sich als astreiner Windvogel, hebt ab und fliegt einmal die gesamte Steilküste ab. Gut zwanzig Meter hebt es das Zelt in die Höhe, ungelogen! Micha rennt los und folgt seinem fliegenden MSR, doch er ist zu langsam. Es verschwindet um die nächste Ecke und entschwindet unserem Blick. So auch Micha. Doch kurz darauf kommt er zurück. Mit seinem Zelt in der Hand. Als er um die Ecke kam, stand da jemand, der gerade damit beschäftigt war, die Bucht zu vermessen. Und der hat Michas Zelt am ausgestreckten Arm gefangen. Perfekt. Leider waren wir so perplex, dass wir weder Foto, noch Video von dem Fluggerät machen konnten… schade eigentlich.
Die nächste Stunde verbringen wir damit, die Zelte aufzubauen und sofort mit dicken Steinen zu sichern. Und mit unseren Booten, an denen wir unsere Zelt festbinden. Brigitte und Otti entscheiden sich direkt für eine Nacht ohne Zelt.
Hausbesetzer
Tag zwei beginnt früh. Denn der Sturm zerrt ab zwei Uhr morgens so richtig an unseren Zelten. Da an Schlaf eh nicht mehr zu denken ist, stehen wir mit dem ersten Licht auf. Auch, damit die Zelte nicht reißen, packen wir sie sofort ein. Doch heftige Böen peitschen auf das Meer, es schaut richtig wild aus. Also frühstücken wir im Windschatten, bis es etwas weniger windig wird. Dann kämpfen wir uns vor bis nach Asprolithos und legen dort eine Kaffeepause ein, bereits nach drei Kilometern. Doch wir hoffen, dass der Wind ein bisschen weniger wird. Und wir haben Glück. Zwar kämpfen wir immer noch mit ordentlichem Gegenwind, doch wir schaffen es ums nächste Kap. Dann ist Ruhe. Wir sind im Windschatten. Doch die Nacht steckt uns in den Knochen, wir sind richtig kaputt. Also beenden wir den Tag bereits nach zwölf Kilometern. Weil wir keine Lust auf eine zweite Sturmnacht haben. Und weil wir einen Strand gefunden haben, an dem verlassene, etwas runtergekommene Ferienhäuschen stehen. Und die bieten uns den perfekten Windschatten. So bauen wir unsere Zelte auf der Veranda auf, entspannen und genießen den restlichen Tag in der Hängematte. Abends peitscht der Sturm wieder auf das Meer, doch heute macht uns das nix, wir haben Windschatten!
Surf´s up!
Wir folgen der schroffen Steilküste weiter gen Osten. So langsam biegen wir in Richtung Norden ab und verlassen so den schützenden Windschatten. An den ersten Landzungen peitscht uns ein ordentlicher Gegenwind entgegen. Dann biegen wir wieder ab und es ist windstill. So geht es dahin, im steten Wechsel zwischen Wind und Stille. Bis wir die traumhafte Küste bei Xerokampos erreichen. Hier rollt eine dicke Brandung an die Strände, die von Felsen eingerahmt und mit Untiefen gespickt sind. Die Wellen sind beeindruckend, trotzdem suchen wir uns einen Weg an den Strand. Denn wir wollen die Chance nutzen und noch einmal einkaufen gehen, denn weiter im Nordosten werden die Möglichkeiten rar. Und wir wollen einkehren, denn es ist ja schon wieder Mittag. Alle schaffen es heile an Land. Dann beginnt der entspannte Teil bei Zaziki und Kolokitokeftedes, bevor später, beim Ablegen, wieder Timing gefragt ist, um keine Nasenspülung von den Brandungswellen verpasst zu bekommen.
Die nächsten Kilometer sind traumhaft. Die Küste ist einfach schön. Erst sanft und sandig, dann schroff und steil. Aber immer kark. So erreichen wir nach einigen weiteren Stunden den kleinen Ort Kato Zakros. Hier ist Ende Gelände. Denn es dämmert bereits und es windet wieder. So wollen wir nicht noch sechs Kilometer bis zur nächsten Bucht paddeln. Denn auf dem Weg dorthin gäbe es keine Anlandemöglichkeit mehr. So bleiben wir in Zakros und lassen den Abend ganz wunderbar in einer der zahlreichen Tavernen ausklingen. Wenn man ehrlich ist, so besteht Zakros eigentlich sowieso nur aus Tavernen… und das nutzen wir gerne.
Das große Scheitern
Früh bauen wir die Zelte ab. Denn es ist nahezu windstill. Und wir haben gelernt, dass es ab mittags immer wieder auffrischt. Wir paddeln die ersten sechs Kilometer und erreichen die Bucht, die uns am Vorabend verwehrt war. Doch wir kriegen keinen Meter geschenkt. Wir haben Wind, Gegenwind. Teilweise stellen wir das Paddeln ein, um nicht umgeweht zu werden. Die Böen blasen ordentlich. Am wunderschönen Paralia Karoumes steigen wir aus und besprechen uns. Am Horizont sehen wir das nächste Kap, der Wetterbericht sagt neun Beauford aus Nord. Selbst wenn wir das Kap packen, dann bekommen wir auf der anderen Seite kräftigen Seitenwind. Und wahrscheinlich eine ordentliche Welle dazu. Gemeinsam entscheiden wir, dass Karoumes unser Wendepunkt der diesjährigen Tour sein wird – und zugleich der Ort, an dem unsere 2024er Tour scheitern sollte. Doch die Stimmung ist gut. Nach einem rituellen Foto surfen wir bei Rückenwind zurück. Vorbei an Zakros, vorbei an den wunderbaren Stränden von Xerokampos. Es ist früher Abend und wir laufen eine Bucht an, die wir für die Nacht ausgewählt haben. Doch sie entpuppt sich als windige Steinwüste. Also paddeln wir weiter. Bis zur Bucht von Agia Irini. Doch auch dieser Strand entpuppt sich als Düse. Der Wind peitscht und es gibt kaum Windschatten, da hier eine Schlucht in den Strand mündet und der Wind sogar noch kanalisiert wird. So treffen wir eine Entscheidung, die nicht leicht fällt: Wir paddeln noch eine gute Stunde weiter, zurück zu unseren verlassenen Appartments am Strand. Zu dem Ort mit dem gemütlichen Windschatten, dem malerischen Ausblick und der Hängematte… Wir schaffen es im letzten Licht, die Sonne versinkt bereits im Meer, als wir endlich anlanden. Kurz vorher queren wir noch eine Bucht, in der wir richtig Breitseite bekommen. Kräftige Böen, Gegen- und Seitenwind. Nach knapp 35 Kilometern sind wir am Ende, bauen die Zelte auf und kochen uns ein fettes Abendessen. 500 Gramm Nudeln sind heute wirklich kein Problem für Nadja und mich, zumal das Mittagessen heute auch eher spärlich ausgefallen ist. That´s adventure life…
Traumbucht mit Milky Way
Eigentlich hätten wir am fünften Tag spätestens auf die Nordküste abbiegen sollen. Doch der Wind hat uns da ordentlich reingegrätscht. Deshalb haben wir uns jetzt ein neues Ziel gesetzt. Wir wollen es auf jeden Fall zurück zum Startpunkt schaffen. Ziele braucht der Paddler! Also steht an diesem Tag nochmal eine anstrengende Etappe an. Windprognose: heftig. Doch wir wissen, dass es sich immer noch um Nordwind handelt. Und wir sind immer noch im Windschatten. Und schließlich sind wir diese Etappe auch vor ein paar Tagen schon andersrum bei ähnlicher Windprognose gefahren. Wir beißen uns also durch und werden belohnt, denn wir verbringen den Abend in einer Traumbucht, die wir eigentlich schon für die Hinfahrt ausgeguckt, spontan aber verworfen hatten. Diese Bucht erweist sich dann auch gleich in dreierlei Hinsicht als Volltreffer. Sie ist einfach wunderschön, es gibt eine Cocktailbar, die nur ca. 15 Minuten Fußmarsch entfernt in der nächsten Bucht liegt und der STERNENHIMMEL ist die absolute Wucht. Eine Million Sterne und eine grandiose Milchstraße breiten sich über uns aus. Lange sitzen wir noch bei Rotwein am Strand und schauen in den Himmel.
Endspurt
Der letzte Tag startet früh für mich. Denn der frühe Fotograf fängt das Motiv. So stehe ich schon um fünf mit Stativ und Kamera in der Bucht und fotografiere die blaue Stunde – bei wunderschöner Lichtstimmung am letzten Morgen in der Wildnis.
Heute warten rund 20 Kilometer. Das ist gut zu schaffen. Und zur Mittagspause finden wir noch einmal eine richtig gute Taverne – Zaziki und Club Sandwich geben uns die nötige Power und wir schaffen es am frühen Nachmittag bis zum Campingplatz in Koutsounari. Der Abend kling feucht-fröhlich bei krasí kokkino (Rotwein) und leckerem Essen aus. Das schöne an dieser fantastischen Gruppe: Alle sind salzverkrustet, zerzaust, ein bisschen gescheitert aber superglücklich – niemand weint der Nordküste eine Träne nach, denn wir hatten eine tolle Tour. Und wir alle sind uns sicher: Beim nächsten Mal schaffen wir es wieder ein gutes Stück weiter – bei unserer vierten und wahrscheinlich letzten Kreta-Pilottour im Jahr 2026 😉
Text und Fotos: Christian